Entwerfen WS 09/10

Linienwall.2010

AUFGABE

Bis ins 19. Jahrhundert hatte der sogenannte „Linienwall“ eine reine Verteidigungsfunktion inne. Er stellte eine die Stadt umgrenzende Befestigungsanlage dar, welche sich nun nach und nach in eine Steuergrenze für die Stadt verwandelte. Der Name leitet sich von den so genannten Linienämtern ab. Es sind dies die Tore, resp. die Öffnungen innerhalb der Wallanlage. Im Lauf der Geschichte wurden zunehmend Vororte eingemeindet und mit dem Wachsen der Stadt verlor der Linienwall Schritt um Schritt seine Bedeutung und wurde schlussendlich weitestgehend abgetragen. Bis zum heutigen Tage blieben nur wenige sichtbare Überreste vorhanden. Einer jener Überreste lässt sich innerhalb eines Innenhofes in der Weyringergasse 13 finden. Dieses Stück Wiener Baugeschichte soll nun als Ausgangs­punkt für eine entwerferische Auseinandersetzung dienen. Im Angesicht des historisch weitgehend in Vergessenheit geratenen Fragmentes stellt sich die Frage, wie mit einem solchen baulichen Relikt verfahren werden kann und soll. Es gilt die Frage zu beantworten, welcher Bedeutung dieser Überrest innerhalb des gänzlich veränderten Kontextes sinns­tiftender Weise noch zugeführt werden kann.

RESUMEE

Der Linienwall als ehemals grenzbildendes Element innerhalb des Wiener Stadtraumes scheint heute zwar beinahe vergessen, der Umstand seiner bloßen Existenz jedoch, löste im Zuge dieses Entwurfsprogrammes eine Welle an Reaktionen aus, welche im Regelfall eine bloße bauliche Auseinandersetzung mit dem noch vorhandenen Fragment unmöglich machte. Vielmehr wurden Fragen nach der Ein- wie auch Ausgrenzung innerhalb des heutigen städtischen Umfeldes gestellt und deren jeweilige Antwort beeinflusste bzw. initiierte in vielen Fällen den tragenden Projektansatz. In Folge dieses Umstandes mag es nicht weiter verwunderlich erscheinen, dass eine Vielzahl der Projekte das vorhandene Fragment des Linienwalls in der Weyringergasse gleichsam zum Anlass nimmt, aktuelle Fragen zum Thema städtischer Grenzen zu formulieren. Der strategische Wunsch nach Entgrenzung und räumlicher Öffnung, sowohl hinsichtlich des näheren baulichen Umfeldes, sprich der umliegenden Blockrandbebauung als auch des großräumigeren städtebaulichen Kontextes, insbesondere hinsichtlich der Überwindung der städtischen Barriere „Gürtel” kann sicherlich mehrheitlich als übergreifendes Motiv herausgelesen werden.

Entsprechend den persönlichen Charakteristiken widmen sich die einzelnen Projekte entweder einem Vorgehen in kleinteiligen Einzelmaßnahmen in Bezug auf eine strategische Verbesserung und Aufwertung existenter räumlicher Situationen, oder aber sie greifen auf großräumige bauliche Maßnahmen zurück um einen städtischen Wandel fallweise auch “auf einen Schlag” erwirken zu können. So werden im fallweise brückenähnliche Gebilde entwickelt, welche den Gürtel örtlich oder über weite Strecken hinweg überbauen und solcherart “neues Leben” oberhalb dieses Verkehrsstranges vorstellbar werden lassen. Es werden aber auch brachliegende Grünflächen entlang des ehemaligen Wallverlaufes in Augenschein genommen und in Folge mit vielfältigen Nutzungen bespielt. Das vordergründige Ziel liegt dabei immer im konkreten “Zugänglichmachen” der einzelnen Areale, sprich ihrer realen Erleb- und Nutzbarkeit. Die Benutzung dieser baulichen Strukturen erfolgt nicht selten auf mehreren Ebenen, wobei auch die Dachfläche mitunter zur “einsatzfähigen” Oberfläche verwandelt wird.

Kleinteiligere Vorgehensweisen hingegen greifen auf das sensible Aufspüren spezifischer Gegebenheiten vor Ort zurück und trachten danach einen konkreten Bedarf für den jeweiligen Ort herauszufiltern und diesen gleichsam als bauliches Angebot in die städtische Oberfläche zu schreiben. So entsteht mitunter im Hinterhof schon mal eine lokale Kinderbetreuungstätte, eine jugendherbergsartige Hotelerweiterung, eine Freifläche für Restaurationsbetriebe oder auch ein unterirdisch angelegter Boxring mit weitreichenden Einblicken aus der Hofperspektive. Räumliche Bänder erwecken Neugier und Aufsehen, geleiten den Besucher wie auch den Anwohner durch die engmaschigen Wegenetze und verknüpfen ihn mit dem Ort und dem vielerorts verschlossen erscheinenden Beziehungs- und Sozialgeflecht.

Intergration im weiteren als auch im engeren Sinne schält sich wie von selbst als Leitmotiv heraus. Dass eine im engeren Sinne gefasste Integration auch im Bereich des Gürtels stattfinden könnte führt das innerstädtische Integrationsprojekt “Mizi” vor Augen. Das Projekt schlägt eine Reihe an kleinteiligen Maßnahmen vor, welche einem Strategieplan gleich, Zug um Zug einen gezielten Integrationsversuch innerhalb des Bestandes anstrebt. Die auf Wachstum setzende Idee verändert nach und nach das Aussehen der Umgebung und generiert letztlich ein lebendiges und veränderliches Stadtbild.

Ob große städtische Geste oder kleinteilige Baumaßnahme, die Entwürfe bemühen sich allesamt darum eine konkrete Verbesserung hinsichtlich des Nutzungsangebotes innerhalb des Stadtraumes zu erwirken. Das Fragment des Linienwalles in der Weyringergasse verwandelt sich dabei zum Auslöser für diese anstehenden Veränderungen und regt nicht zuletzt zu einem Denkprozess an, welcher die Überwindung ehemaliger und heutiger Grenzen zum Ziel hat.